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Bild des Benutzers Abby
Verbunden: 9. August 2011 - 9:05
Wie geht Prismenaufbau?

Hallo zusammen,

 

mal eine Verständisfrage:

wie genau wird der Prismenaufbau durchgeführt? Wenn z.B. 20 Pdpt gemessen werden, wird bis zu diesem wert in x Schritten während eines Zeitraums y aufgebaut, oder setzt man gleich die 20 ein und wartet, ob sich durch die Entlastung dann weiter höhere Werte bilden?

Wie kann man mit solch hohen Prismen den Alltag bewältigen? Ich selber habe 2 Wochen eine Folie getragen (eisern!), das war die Hölle. Ein Glas wäre ja nicht so bescheiden von der Qualität, aber das Prinzip ist ja dasselbe, der einfallende Lichtstrahl wird abgelenkt. Selbst nach 2 Wochen war mein räumliches Sehen völlig durcheinander, da total verzerrt. Ich habe unter Schwindel gelitten, bin dauernd vor die Möbel gelaufen und musste mich krankschreiben lassen, da ich mit Gefahrstoffen arbeite.

Dazu würde ich auch gerne Erfahrungen von Prismenträgern hören.

Und noch eine Frage: ich lese immer wieder, dass man hinter Prismen nicht schielt. Das verstehe ich nicht so ganz, ich stell mir das sehr vereinfacht  so vor: die Augen stehen nicht parallel. also sehe ich zwei Bilder. Durch das Prisma werden die Strahlen abgelenkt und sind auch nicht mehr parallel, nun kann ich weiter schielen und trotzdem ein Bild sehen. Ist das falsch? Ich würde gerne richtig verstehen, was da passiert.

Danke!!

Abby

Bild des Benutzers Paul-Gerhard Mosch
Verbunden: 26. Juli 2002 - 0:00

Hallo Abby,

Du stellst gute Fragen! Das Antworten fällt aber etwas schwer, da es ganz unterschiedliche Ausgangsstadien gibt.

1. Prismenaufbau:

Darunter versteht man ein Abarbeiten von Verspannungen bei fixierten Sehen über beide Augen (also erstmal ohne eine Schielproblematik), Die anfangs noch sehr fest verriegelten Verspannungen, verstecken letztlich die wahren Fehlwerte und machen sie anfangs für Messungen unzugänglich. Mit jeder weiteren Messung wird der Restfehler immer mehr ergründet und kommt als Korrektion mit in die Brille. Zeiträume und Zahlenwerte sind individuell und nicht pauschal fassbar. Mancher läuft zeitlebens mit Teilkorrektionen herum, ohne dies zu bemängeln.

Will man aber auf eine Schiel-OP hinaus, macht es Sinn, durch vorgelagerte Messungen (und Korrektionen) im Abstand von drei Monaten bis max. 3/4 Jahr, möglichst nah an den Gesamtfehlwert zu gelangen. Denn durch die Reorganisation im Sehen nach dem Eingriff kann der sonst avisierte OP-Wert im ungünstigeren Fall regelrecht verpufft sein!

Im Fall von echtem Schielen kann zudem erschwerend hinzu kommen, dass der gemessene Schielwinkel unecht war und dadurch der Operateur sich täuschen ließ. Dann stellt sich nach der OP ein anderer neuer Schielwinkel ein, vorallem dadurch begünstigt, dass die Augen vorher immer so standen, dass eine funktionelle optimale Zusammenarbeit unmöglich war. Teils wird einer funktionellen Zusammenarbeit beim Schieler durch das Ausweichen eines Auges unbewust begegnet. Diese Wettstreitphänomene wären besser im Vorfeld durch einen dies abfedernden Prismenausgleich angegangen worden. Ein solcher "Prismenaufbau" ist grundsätzlich schwieriger, da er einerseits das Risiko "Doppelbilder" beinhaltet und andererseits die geprägten synaptischen Verschaltungen zwischen Augen und visuellem Cortex berücksichtigen muss. So kommt es teils zu plötzlich völlig unerwarteten Reaktionen, die dann umgehend korrigierend abgefangen werden müssen. Das ist jedenfalls kein klassischer Prismenaufbau, In seltenen Fällen steht am Ende ein kleiner sehr versteckter Fehlwert, der Ursache für einen anfangs sehr großen Schielwinkel war. Immer aber zeigen letztlich nur die Augen den Weg durch das anfängliche Labyrinth. Als Augenoptiker bleibe ich Fährtenleser, mehr nicht. Verstehe ich mein Handwerk gut, wird mir mein Kunde folgen wollen, wenn nicht ...

2. Alltagsbewältigung:

Hier verweise ich auf die letzten zwei Sätze im Vortext. (Je mehr ein Augenoptiker das Ergebnis selber zu beeinflussen sucht, desto höher muss die Toleranzschwelle seiner Kunden sein.) Nicht immer hilft "viel" viel, aber ein "etwas" ist oft sogar zu wenig. Ein wesentliches Problem über Ansichten zu binokularer Korrektionen, liegt darin begründet, das falsche Werte häufig unverträglich bleiben. Denn bei gestörten Binokularverhältnissen hat man sich ja mit dem eigenen Sehmuster bislang am Längsten (und am Besten?) arrangiert.

3. Prisma und Schielen (mit Hinweisen nach OP-Eingriffen):

Schielen ist dezentrierte Fixation! - Auch dann, wenn man hinter Prismen immer noch weiter schielt!

Hinter einer prismatisch korrigierten Brille stehen die Augen zwar nicht mehr in der Null- (oder Ortho-) Stellung. Aber in aller Regel unter perfekt(er)er Fixation und unter einer entsprechend entlasteten, individuell angeborenen Grundhaltung des Augenpaares. Im Idealfall perfekt, mit überprüfbarer guter Fixation und ideale Grundstellung des Augenpaares, eben stressfrei! 

Man erhält durch die Korrektion die gleichen günstigen Voraussetzungen, die Augenpaare nutzen, die in der Null- bzw. Orthostellung keine WF aufweisen. Deshalb ist die Augenstellung hinter einer Prismenversorgung keinesfalls eine Schielstellung, sondern eine individuelle, äußerst komfortable zu nutzende Grundstellung. Bei hohem Fehlbetrag der WF kann der Winkelbetrag durch eine OP reduziert werden. Selten wird dieser durch OP voll erwischt, da eine OP grobere Winkelstrecken vorgibt. Aber nach Eingriffen, die sich stabilisiert haben, bietet sich an, auch Restfehler optimal zu erfassen.

Befürchtete Nachrutscheffekte aufgrund einer OP sind deshalb allermeist, zwar seltene, aber wertmäßig hohe Störungen einer WF. Hier wird man in jedem Fall, wenn keine Doppelbilder stören, die Korrektion später mittels "Prismenaufbau" weiter führen. Dabei sollte dem Augenpaar immer ein Zeitfenster zur eigenen Reorganisation von drei Monaten bis max. einem Jahr gelassen werden. Nur bei Doppelbildern greift man möglichst umgehend ein, denn hier bietet sich eine echte und sehr gute Chance zu einer besseren, doppelbildbefreiten Re-Organisation im Gesamtsehen. Versäumt man hier die rechte Zeit, wird das Dilemma nur noch fester verriegelt und verfestigt. Übrigens, auch bei einer "Nur WF" sollte man die eher sehr selten auftretenden Doppelbilder umgehend und korrekt korrigieren. Allermeist war nicht die OP falsch, sondern nur die OP-Vorbereitung zu kurz, d.h. der Restfehler wird sich wieder niedriger einpegeln.

Viele Grüsse

Paul-Gerhard Mosch (PGM)

Bild des Benutzers Abby
Verbunden: 9. August 2011 - 9:05

Hallo Paul-Gerhard,

 

vielen Dank für die ausführliche Antwort Smile

Ich fasse mal in meinen Worten zusammen, ob ich es richtig verstanden habe.

1. Man versucht also rauszukriegen, was das Auge unter den - nach lebenslanger Kompensation - verkrampften Bedingungen ein guter Wert ist. Dabei kann es eine teilweise Korrektur sein, und diese ist OK, solange man sich in der Komfortzone bewegt. Wenn Werte nachrutschen, passiert es dadurch, dass durch die angefangene Entspannung des Systems weitere Lockerungen auftreten.

Das wird aber nur weiter korrigiert wenn man Probleme bekommt.

als OP Vorbereitung (woher weiß ich, dass es auf ein OP rausläuft?) forciert man das Ganze um bewusst die vorhandenen Verspannungen zu lösen, damit dies nicht nach der OP passiert.

2. Gute Anpassung ist essentiel und schwierig. Das leuchtet mir ein, meine Frage war - wenn sie sich diesbezüglich überhaupt beantworten lässt - eher psysikalischer Art.

Wenn es auf ein hohes Prisma herausläuft und man korrigiert dies mit Brille, wie ist die Gewöhnung? Habe ich nach kurzer Zeit wieder (subjektiv durch Anpassungsleistung meines Hirns) einen 3D-Raum mit rechten Winkeln und gleicher Kantenlänge?

Wie sind da die Erfahrungen?

Nach meinen Erfahrungen mit der Folie, hätte ich enorme Bedenken, eine Brille mit hohem Prisma zu tragen.

3. Bin nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe, wahrscheinlich eine Begriffsverwirrung.

Ich habe merhmals gehört, hinter einer Prismenbrille schielt man nicht. Das hat bei mir zu einiger Verwirrung geführt.

Natürlich sollte man nach der Anpassung eine perfekte Fixation haben, aber die Augenstellung, in individueller entspannter Grundstellung ist beim Schieler ja nicht geradeaus. Das verändert man ja nicht, sondern man gibt dem Augenpaar die Möglichkeit in dieser Stellung ohne Doppelbilder entspannt zu gucken.

Sorry, dass ich so bohre, aber ich möchte das Ganze gern richtig verstehen.

Viele Grüße

Abby

Bild des Benutzers Paul-Gerhard Mosch
Verbunden: 26. Juli 2002 - 0:00

Hallo,

zu Frage 1)

alles soweit richtig verstanden.

Ob es operabel werden könnte, zeigt sich allermeist einem MKH-ler mit entsprechender Erfahrung schon bei den ersten zwei Messungen. Hier kann man zum Einstieg durchaus auch eine Teillösung favorisieren, um dem so besprochenen Thema erstmal Zeit zur gedanklichen Auseinandersetzung zu lassen. Später wird man gezielt eine OP vorbereiten helfen, um in sinnvoller Zeit das Ziel von OP und möglicher Vollkorrektion zu erreichen. Dann wird keinesfalls nur nach Beschwerdebild vorgegangen. Denn dies wäre hierbei ein absoluter Hemmschuh.

Korrektion nach Beschwerdebild ist ein mögliches Modell. - Mir persönlich ist es allerdings viel lieber, ich muss eine Korrektion nicht immer wieder unter erneuten Verspannungen (Beschwerdebildern) neu aufpäppeln, sondern kann unter Einverständnis des Probanten eine Korrektion unabhängig und nach Möglichkeit schon frei von Restbeschwerden ins Ziel bringen, zu dann endgültiger und stabilisierter Vollkorrektion mit nur noch minimalen Restschwankungen.

zu Frage 2)

Prismenfolie und Prismenlinsen sind zwei Welten, Prismenfolien eignen sich für eine begrenzte Zeit z.B. zu einer letzten Erhöhung des Wertes vor einer avisierten Schiel-OP. Sie können auch grosse Schwankungen versuchsweise als Anfangskorrektion abfedern helfen und stabilisieren. Darüber hinaus aber können sie eine echte prismatische Korrektion gerade bei hohen Werten niemals ebenbürtig korrigieren. Unser Hirn (Visueller Cortex) passt sich jedoch an alles an, eben nicht immer nur zu unserem Besten.

zu Frage 3)

Wenn ein Schieler(!) über eine prismatische Korrektion in Schielstellung korrekt fixiert, hat er sein Schielen abgelegt und wird zum binokular Sehenden. Echte Schieler fixieren jedoch dabei meistens immer noch unkorrekt und entwickeln sehr leicht Doppelbilder, die aufzeigen, dass das Schielen leider doch nur unzureichend korrigiert wurde. Dies passiert auch bei zu früher OP. Hier entsteht Handlungsbedarf. Die Augenstellung/ -haltung ist entweder funktionell völlig richtig, oder aber immer noch gestört. Soweit verstanden?

Viele Grüsse

Paul-Gerhard Mosch (PGM)

Bild des Benutzers Abby
Verbunden: 9. August 2011 - 9:05

Danke,

 

alles verstanden Smile

 

Abby