ich habe schon versucht, Andreas anzurufen, aber nur die Mailbox vollquatschen können. Ich hoffe, er ruft mich zurück. Bitte habt mit mir Geduld, ich habe in meiner velberter Wohnung zur Zeit kein Internet, bin umgezogen und es dauert noch. Deswegen kann ich nur von der Firma aus ins Forum.
vielen Dank, dass Du Dich darum kümmerst. Das Posten in den Fäden funktioniert inzwischen wieder problemlos. Allerdings können wir keine neuen Fäden eröffnen, wahrscheinlich funktioniert das aber nur in Off Optic nicht, denn heute hat ja im Binokularsehen eine Person einen neuen Faden eröffnet.
da mich aktuell eine Sache beschäftigt, dachte ich, ich äußere mich hier einmal dazu, vielleicht hat ja jemand Lust, mit mir zu diskutieren.
Ihr habt sicher von dem jungen Mädchen gelesen, das in Offenbach zwei anderen Mädchen, die belästigt wurden, geholfen hat und daraufhin von einem der Männer selbst niedergeschlagen und letztendlich getötet wurde. Ein tragischer und sehr trauriger Fall.
Nun wird allgemein die Zivilcourage des Mädchens gelobt, sie soll ja nun sogar das Bundesverdienstkreuz erhalten für ihre Tat. Das ist sicher nett gemeint, auch wenn es schon ein großes Zeichen von Ohnmacht ist. Hätte man diesen Tod nicht vermeiden können? Wer hat etwas von diesem Verdienstkreuz?
Bei mir führt dieses Gerede von Zivilcourage und auch das Bundesverdienstkreuz zu einem gewissen Unbehagen. Was ist denn eigentlich Zivilcourage? Wenn jemand mutig ist und anderen in Not hilft. Aber muss ich dabei zwangsweise auch mein Leben riskieren? Bin ich ein Feigling, wenn ich dazu nicht bereit bin? Und was ist nun eigentlich so vorbildlich an dem Verhalten der jungen Frau, dass man ihr das Bundesverdienstkreuz geben will? Ist es mal abgesehen von einem Ohnmachtszeichen in einer offensichtlich zunehmend verrohenden und gewaltbereiten Gesellschaft nicht eindeutig ein FALSCHES Zeichen, wenn jemand geehrt wird für ein Verhalten, das ja irgendwo nicht so ganz funktioniert hat, denn sonst wäre sie nicht tot.
Ich definiere und verstehe Zivilcourage tatsächlich anders. Es ist ein beherztes und mutiges Handeln, ein Eingreifen mit dem Ziel, anderen zu helfen. Das funktioniert aber nur, wenn ich die Situation dabei wirklich überblicke und mit Vernunft davon ausgehen kann, das zu überleben. Das Mädel hat eindeutig einiges falsch gemacht. Sie hat die Lage und den Täter falsch eingeschätzt, eventuell auch sich selbst überschätzt. Sie wollte helfen und mutig sein und hat aber doch durch ihr nicht sehr vernünftiges Verhalten dazu beigetragen, dass es einen Toten gibt. Das ist nicht sehr schlau, man kann es auch Dummheit nennen.
Ich weiß, dass diese Äußerung momentan nicht sehr populär sein dürfte, denn die Emotionen werden bedient, vor allem von der Presse. Die gut aussehende junge Frau, zwei schutzbedürftige minderjährige Mädchen, der rohe Schläger. Das klingt nach einem sehr sehr schlechten Film und bedient die Emotionen, die verbinden. Alle sind sich doch einig, dass wir mehr von dieser Art von Zivilcourage nötig haben.
Ist dem wirklich so? Wie in den Zeitungen zu lesen ist, haben einige Typen auf der Damentoilette der McDonalds-Filiale zwei minderjährige Mädchen belästigt. Das Mädchen, das später den Tod fand, half den beiden Mädchen, mit anderen Leuten zusammen. Die Lage hatte sich offensichtlich beruhigt und später kam es dann auf dem Parkplatz zum tödlichen Angriff eines der Belästiger.
Nun kann man so etwas nicht voraussehen. Aber wäre nicht trotzdem Vorsicht geboten gewesen? Junge Männer, die aggressiv sind und dann womöglich noch vor ihren Freunden gedemütigt werden, sind mit Vorsicht zu genießen. Warum ist sie dort an diesem Ort geblieben, nachdem sie geholfen hat? Warum ist sie nicht sofort verschwunden, um sich selbst nicht zu gefährden? Der Typ wollte sich rächen, das Mädchen ist nun tot.
Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Der Fall ist sehr tragisch und traurig, einfach nur furchtbar, für viele, das Mädchen, die Familie, Freunde. Gleichzeitig sage ich aber auch, Zivilcourage ist etwas anderes. Da geht es auch um eine vernünftige Einschätzung der Lage, um Schlimmes zu verhindern. Das ist dem Mädchen nicht gelungen.
Natürlich hat auch die Geschäftsleitung des Ladens versagt, denn eigentlich wäre es ja deren Aufgabe, dafür zu sorgen, dass kleine Mädchen auf Toiletten nicht von Männern belästigt werden. Die Belästiger hätte man wohl besser der Polizei übergeben.
nein, ich denke, man kann so etwas nicht vorraussehen. Aber vielleicht wäre es besser gewesen, die Typen hätten die Nacht bei der Polizei verbracht und die junge Frau wäre nach Hause oder woanders hingegangen.
Prinzipiell finde ich Zivilcourage dennoch etwas Gutes: Erst jüngst ist in Freiburg an einer Strassenbahnhaltestelle ein Mann mit einem Messer auf seine Ex-Freundin losgegangen. Ein junger Mann griff ein, konnte den Täter bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Eine andere Person half und nahm dem Täter das Messer weg.
Doch es kostete den jungen Mann wohl so ziemlich all seine Kraft, den Täter bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Wenn der Täter es geschafft hätte, sich loszureissen und dabei vielleicht den jungen Mann verletzt oder gar getötet hätte, müsste man es dem jungen Mann vorwerfen, dass er sein Leben riskiert hatte?
Wäre das vorraussehbar gewesen? Es standen ja wohl noch so einige Leute an der Strassenbahnhaltestelle. Waren das alles Leute, die nicht helfen konnten? Alles Kinder, alte oder behinderte Leute? Oder hat der junge Mann nicht doch damit rechnen können, dass man ihm hilft?
Ja, Zivilcourage braucht es, doch sollte man sich das gut überlegen, was aber gerade in solchen Situationen kaum möglich ist. Da muss man mitunter schnell handeln. Wenigstens nach Entschärfung der Situation sollte man sich jedoch überlegen, wie man sich aus dem Gefahrenbereich herauszieht, vor allem, wenn die Täter am Tatort verbleiben.
also ich hatte ja auch von dem Fall gelesen, doch kenne ich keine Details. Warum ist die junge Frau im Lokal verblieben? "Nur", weil sie dort den Abend verbringen wollte? Oder weil sie sich unter Menschen sicherer fühlte? Was wäre gewesen, wenn sie sich gleich vom Tatort entfernt hätte? Hätten ihr die Typen auch aufgelauert? Hatte sie vielleicht die Befürchtung, dass sie, wenn sie gleich das Lokal verlässt, um vielleicht nach Hause zu gehen, von den Typen bis nach Hause verfolgt wird?
Ich sehe das Problem vor allem darin, dass anscheindend zu wenig Zivilcourage gezeigt wird. Es ist wohl immer wieder der Fall, dass in solchen Situationen zu wenig Menschen helfen. Zumindest ist das meine "Erfahrung", also das, was ich hier so durch die Presse erfahre bzw. was auch schon meine eigene Erfahrung war! Man meint, man ist nicht alleine, man hofft auf Unterstützung, aber oft genug schauen die anderen Menschen woanders hin oder sie schauen scheinbar unbeteiligt zu.
Hinzu kommen die heutigen Medien und das Internet: Solche Geschichten verbreiten sich rasend schnell und man kann hier mit einem einzigen Mausklick seine ach so gute Einstellung zeigen. Eine Sekunde, ein Mausklick und man ist wieder mal ein guter Mensch!
Fehlende Zivilcourage in Situationen, wo sie durchaus ohne allzu grosse Gefahr machbar wäre und der Medienhype mit "Like" - das ist das, was mich an solchen Dingen so ärgert. Dass man dann halt noch reagieren muss und im Nachhinein ein Bundesverdienstkreuz vergibt - das ist halt fast schon Zugzwang. Machtlosigkeit. Ohnmacht.
(Und dann gibt es noch ein Hindernis für die Zivilcourage: Das Recht, das auch Täter haben. Also mal eben schnell einen Ladendieb am Ärmel packen kann juristischen Ärger nach sich ziehen. Ich denke, auch das haben viele Leute im Hinterkopf.)
ich bin ganz Deiner Meinung, es fehlt an Zivilcourage. Und genau deshalb finde ich aber solche Fälle, wo nun die Zivilcourage einer Person in den Himmel gelobt wird und diese Person diese Courage gleichzeitig mit dem Leben bezahlt hat, so ungünstig und auch gefährlich. Denn das signalisiert den Leuten doch, dass es sehr gefährlich ist und man das mit dem Leben bezahlen kann. Genau das ist es aber doch auch, was die Leute nun von mehr Zivilcourage abhält. Das ist an sich ein absolutes Negativbeispiel, und die Presse täte besser daran, den Fall herunterzuspielen. Aber die Presse ist eben die Presse und so nimmt alles seinen ungünstigen Lauf.
Das Ganze passierte offensichtlich in einer McDonalds-Filiale und die Frau wurde später auf dem Parkplatz von einem der Typen niedergeschlagen. Nun hatte er wohl nicht vor, sie zu töten, aber sie fiel aufs Pflaster und hatte schwerste Kopfverletzungen.
Natürlich brauchen wir mehr Zivilcourage, denn die Leute haben immer mehr die Tendenz wegzuschauen, wenn etwas passiert. Und mehrere Leute können etwas ausrichten, mehr als ein Einzelner. Aber wenn mir in der Presse dann suggeriert wird, dass Zivilcourage vom Feinsten einhergeht mit meinem möglichen Tod, dann bin ich natürlich obervorsichtig und halt mich auch lieber raus, denn ich mag mein Leben und will es behalten.
Im konkreten Fall Schuld trägt in jedem Fall die Geschäftsleitung des Ladens, denn man sollte ja meinen, dass kleine Mädchen in McDonalds-Restaurants nicht auf der Toilette belästigt werden. Die Geschäftsleitung hätte hier für Ordnung sorgen müssen und die Polizei rufen oder zumindest Sorge dafür tragen, dass die Täter sich entfernen. Ob die Frau selbst unvorsichtig war, kann man nicht so direkt sagen, vielleicht war es einfach großes Pech, aber sie scheint nicht umsichtig gewesen zu sein. Auch sie hätte sich schnell und unter Vorsicht entfernen müssen, was sie offensichtlich nicht getan hat.
Zivilcourage ja und unbedingt, aber nur da, wo es Sinn macht und vernünftig ist. Wenn ich als untrainierter Nichtschläger zwischen 20 bullige Skinheads trete, um wen auch immer vor ihnen zu retten und dann selbst zusammengeschlagen werde, dann kann man das nicht mehr Zivilcourage nennen und die Häme wird auf meiner Seite sein. Alle werden sagen, dass ich ein Volltrottel bin und selber schuld an meinen Verletzungen habe. Das als Extremfall. Aber man kann anders helfen, indem man andere kräftigere Männer anspricht oder einfach die Polizei oder sonstige Hilfe holt. Das ist dann halt wenig spektakulär, niemand wird einen loben und mit dem Bundesverdienstkreuz beehren, aber helfen kann es trotzdem und man hat eine gute Chance, selbst unbeschadet rauszukommen. Ich denke doch, Zivilcourage ist hinsehen und nach den eigenen Möglichkeiten zu helfen. Und diese sollte man realistisch einschätzen.
Dein letztgenannter Aspekt sollte auch nicht unbeachtet bleiben. In unserem weiteren Bekanntenkreis kursiert ein Fall von einem Handwerker, der mit einem gezielten Hammerwurf auf den Kopf eines Kampfhundes diesen in letzter Sekunde daran hindern konnte, sich auf ein Kleinkind zu stürzen und dieses anzugreifen. Der Hund war tot und der Besitzer klagte unseren Bekannten an. Er musste sich wegen des Hammerwurfs, mit dem er dem kleinen Kind wohl das Leben gerettet oder doch zumindest schwerste Verletzungen erspart hat, vor Gericht rechtfertigen. Glücklicherweise hatte er einen verständigen Richter und die Anklage wurde eingestellt. Aber das kann natürlich auch passieren: ein Akt der Zivilcourage und kein Bundesverdienstkreuz, aber dafür eine Anklage vor Gericht.
Jan, ich bin teilweise mit Dir einer Meinung, teilweise aber auch nicht.
Zivilcourage definiere ich genauso, wie Du auch. Es ist ein beherztes Eingreifen, um jemanden zu helfen. Dabei ist es aber sicher keine fehlende Zivilcourage, wenn jemand nicht bereit ist, sein Leben leichtfertig zu riskieren.
Jeder der versucht, einer in Not geratenen Person nach ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten zu helfen, beweist Zivilcourage. Dabei kann die Hilfe ja auch darin bestehen, weitere Hilfe zu holen (zB die Polizei, andere Personen..), laut zu schreien oder was auch immer.
Man kann sicher niemandem fehlende Zivilcourage vorwerfen, der sieht, dass 2 ihm körperlich deutlich überlegene Personen, die auch noch ein Messer gezückt haben, auf eine andere Person einschlagen, und er/sie nicht dazwischen geht. Die Gefahr, dass er/sie dann mindestens schwer verletzt wird, wenn nicht sogar getötet, ist offensichtlich.
Als fehlende Zivilcourage würde ich es aber bezeichnen, wenn diese Person nach dem Motto "das geht mich nichts an" einfach wegschaut und weitergeht (was ja leider oft genug geschieht). Denn die Polizei zu rufen, wäre in diesem Beispielsfall sicher zumutbar.
So wie ich Dich verstanden habe, liegen wir da gar nicht weit auseinander.
Dein Urteil, dass das verstorbene Mädchen in Offenbach aber mehr getan hat, als vernünftig war, kann ich nicht so ganz teilen (nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen).
Sicher, wenn man jetzt weiß, dass sie wohl anlässlich ihres Eingriffs zu Tode gekommen ist, liegt dieser Rückschluss nahe.
ABER: Hinterher ist man immer klüger!
Hat sie wirklich leichtfertig gehandelt, als sie bei der Belästigung eingegriffen hat? Ich weiß es nicht! Ich maße mir da auch kein Urteil an, dazu weiß ich zu wenig vom Sachverhalt. Es ist da ja auch noch vieles nicht geklärt. Aber einiges könnte aus meiner Sicht schon gegen ein leichtfertiges Handeln sprechen:
Sie hat - wie auch immer - eingegriffen, als 2 Mädchen belästigt wurden. Dieser Eingriff hat ja wohl auch funktioniert. Die Situation war bereinigt.
Und dann - einige Zeit später - verlässt sie das Lokal und der (ein) Täter rächt sich... Hätte sie das vorhersehen müssen? War das wahrscheinlich/ absehbar?
Ich weiß es nicht! Natürlich ist das möglich, dass sie damit rechnen musste. Aber, ob das so war?
Sicher besteht immer die theoretische Möglichkeit, dass ein Gewalttäter, der "gestört" wird, sich dann irgendwann an dem "Störer" rächt. Aber ist das der Normalfall? Eher nicht!
Wenn die Angst vor der theoretischen Rache wegen eines - wie auch immer - durchgeführten Eingriffs die Rechtfertigung ist, gar nichts zu tun, dann wird das Wegsehen IMMER gerechtfertigt.
Daher kann ich mich mit dem Rückschluss, dass der Eingriff des Mädchens letztlich zum Tode geführt hat, bedeutet, dass sie ihr Leben leichtfertig riskiert hätte, nicht anfreunden.
Da frage ich mich eher, so wie Don ja wohl auch, ob nicht in der Zeit zwischen der Hilfeleistung und dem Verlassen des Lokals etwas hätte geschehen müssen; seitens des getöteten Mädchens, oder vielleicht auch seitens der Mitarbeiter oder anderer Gäste. Hätte nicht dann jedenfalls die Polizei gerufen werden müssen?
Aber auch das kann ich nicht beurteilen. Wie massiv waren die Belästigungen. Was ist danach geschehen. Hat sich alles wieder beruhigt und war ganz normal oder gab es Anzeichen für weitere Aggressionen?
Also insgesamt tue ich mich daher mit dem Rückschluss schwer, dass das Mädel leichtfertig gehandelt hat.
Das führt aber auch zur nächsten Frage. Wie beurteile ich jemand, der tatsächlich leichtfertig sein Leben für andere riskiert? Ist eine solche Person ein "ganz besonderer Held"?
Schwierig!
Wir sind uns einig, dass es kein Zeichen fehlender Zivilcourage ist, wenn jemand dies nicht tut (s.o.).
Aber ist es wirklich immer Leichtsinn, wenn jemand trotzdem eingreift? Kann man tatsächlich die Situation immer so abschätzen? Man muss sich ja auch vor Augen führen, dass die Entscheidung oft innerhalb weniger Sekunden getroffen wird, in denen man nicht so reflektiert nachdenkt (nachdenken kann).
Ist es nicht doch besonders anerkennenswert, wenn eine Person einer anderen Person zur Hilfe eilt und dabei eigene Belange zurückstellt?
Nehmen wir mal ein anderes Beispiel:
Ein kleines Kind fällt in einen Fluss und droht zu ertrinken. Ein sehr schlechter Schwimmer oder auch Nichtschwimmer springt in den Fluss, schafft es irgendwie das Kind zu retten, ertrinkt dann aber selber oder zieht sich von mir aus "nur" schwere Verletzungen zu, weil er schlecht schwimmen kann.
Bei einem solchen Beispiel würden wahrscheinlich die allerwenigsten zögern, hier eine besonders selbstlose und heldenhafte Tat zu attestieren und diesen Menschen zu ehren.
Man würde diese Tat wahrscheinlich auch in einem anderen Licht sehen, als wenn ein ausgebildeter Rettungsschwimmer, der zufällig da ist, hinterherspringt und das Kind rettet, ohne sich selbst zu verletzen. Auch diesem wäre man natürlich äußerst dankbar. Aber, ob man dieser Tat den gleichen Stellenwert beimessen würde, wie der des Nichtschwimmers, ist fraglich.
Natürlich ist die Tat des Nichtschwimmers besonders selbstlos. Und jeder würde es wahrscheinlich auch als ungerecht empfinden, wenn da jemand sagen würde "selbst schuld".
Auf der anderen Seite führt eine solche Sichtweise natürlich auch dazu, dass die Tat des ausgebildeten Rettungsschwimmer als "normal" angesehen wird.
Das führt dann natürlich schnell auch zu einer "Verschiebung" des Begriffs Zivilcourage in der Weise, dass Zivilcourage immer der bewusste Einsatz des eigenen Lebens bedeuten muss.
Und das führt dann natürlich schnell dazu, dass sich der eine oder andere dann lieber gar nicht kümmert und wegsieht.
LG Gika
Ein wirklich erwachsener Mensch hat Kindlichkeit nicht abgelegt, sondern sie auf einer höheren Ebene wiedererlangt (David Steindl-Rast)
gerade was die Rettung einer ertrinkenden Person angeht, hatten wir jüngst hier in der Region einen Fall: Eine Frau ist in einen Gewerbekanal gefallen, sie konnte sich irgendwo noch halten, drohte aber abzudriften. Ein junger Mann hat geholfen: Er suchte nach einem Ast, an dem sie sich hätte halten können, sprach derweil mit der Frau, damit sie merkt, dass er bei ihr ist, ihr helfen will. Da er nichts fand, zog er seine Jacke aus und warf sie ihr zu. Reinspringen war für ihn keine Möglichkeit, die Strömung recht stark, er seinen Angaben nach kein guter Schwimmer und er wusste auch nicht, wie tief das Wasser ist.
Das ist vielleicht so ein Beispiel für die Überlegung, wie man einer Person helfen kann, ohne sich selber in Gefahr zu bringen. Nur hat man nicht immer die Zeit oder man schätzt die Lage falsch ein.
Vielleicht hat die junge Frau die Lage falsch eingeschätzt, wir wissen es nicht. Vielleicht hätte jemand in diesem Lokal weiterdenken und die Polizei rufen sollen. Vielleicht hätte die Polizei die Täter für eine Nacht in Gewahrsam genommen (bis entsprechende Berichte geschrieben sind). Vielleicht hätte man der jungen Frau eine Möglichkeit anbieten sollen, dass sie unerkannt nach Hause kommt, also unerkannt dahingehend, dass die Täter ihr nicht folgen können.
Vielleicht, vielleicht ...
Ich denke, wahrscheinlich sind wir uns alle einig, dass es einerseits mehr Zivilcourage braucht, dass sie andererseits überlegt erfolgen muss.
Aber ich denke, schon alleine, wenn Zivilcourage etwas ganz normales wäre, dann gäbe es die Situation, dass Einzelne sich in Gefahr bringen, nicht mehr ganz so oft.
Der junge Mann, der kürzlich hier an einer Strassenbahnhaltestelle einen Täter festgehalten hat, der mit einem Messer auf seine Ex-Freundin losging, lief ja Gefahr, dass seine Kräfte nicht bis zum Eintreffen der Polizei reichen. Hätten andere mitgeholfen, wäre die Gefahr für ihn schon geringer geworden.
Leider wird zu oft nicht gehandelt. Selbst in Situationen, die harmlos wären, wenn mehrere Beteiligte eingreifen würden. Einer ruft die Polizei, die anderen helfen. Stattdessen wird weggesehen und eine einzelne Person bringt sich in Gefahr.
Sorry, aber das Thema regt mich auf. (Aber dennoch gut, es hier mal auszudiskutieren.)
und was die Sache mit den Rechten eines Täters angeht: Natürlich sollte auch ein Täter Rechte haben. Schliesslich soll das Recht nicht auf der Strasse durch X-Beliebige gemacht / durchgesetzt werden, sondern nach gründlicher Prüfung vor Gericht. Trotzdem sollte hier die Rechtsprechung besonders sensibel und gründlich vorgehen. Es sollte hier mehr als sonst auf Verhältnismässigkeit geachtet werden. Also einen Obdachlosen, der sich ein Stück Brot klaut, krankenhausreif zu schlagen ist eine ganz andere Sache, als mit einem gezielten Hammerschlag einen gefährlichen Hund von einem Kind abzuhalten. Wobei das schon wieder schwierig ist. Denn vielleicht war der Hund ja gar nicht gefährlich, sondern wollte nur spielen? (Jan, ich bezweifle jetzt nicht Deine Geschichte, sondern nehme das jetzt mal als Beispiel für die späteren, vor Gericht auftretenden Argumente.)
Vielleicht sollte man öfters die "kleinen", aber feinen Geschichten von Zivilcourage in Umlauf bringen. Eben z.B. den jungen Mann, der sehr überlegt handelte, als er der in einem Kanal zu ertrinken drohenden Frau seine Jacke zuwarf. Damit andere gerade an solchen Geschichten lernen: Ich muss mich nicht unbedingt selber in Gefahr bringen - es gibt eine andere Möglichkeit. Damit mehr Leute auf den Geschmack kommen und gerne, aber auch überlegt helfen.
Hatte da mal so ein Erlebnis des Nichthelfens ... vielleicht schreibe ich es hier mal rein.
also können wir als gemeinsamen Nenner folgendes festhalten? Zivilcourage ist ein ZUMUTBARES Eingreifen in einer Notlage eines anderen im Rahmen der individuellen Möglichkeiten und tatsächlichen Gegebenheiten (mit den Großbuchstaben möchte ich i.Ü. nicht schreien, sondern nur betonen...).
Und von solchen Eingriffen gibt es zu wenig, da wird lieber weggeschaut und alle möglichen Ausreden für das Wegschauen gesucht.
In diesem Zusammenhang möchte ich dann noch auf ein Thema eingehen, was Ihr Beide nun angesprochen habt.
Ist es möglicherweise nicht zumutbar, einzugreifen, weil zu befürchten ist, dass man selbst auf der Anklagebank landet? Sind unsere Gesetze da falsch, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte zu streng?
Alle Beispiele, die Ihr aufgeführt habt, würden nie zu einer Verurteilung führen, in der Regel nicht einmal zu einer Anklage. Es gibt hier doch einige "Tatbestände" die das Eingreifen rechtfertigen.
Den auf frischer Tat Betroffenen Ladendieb dürfte jedermann festnehmen, bis die Polizei kommt, den angreifenden Hund darf man erschlagen. Selbst wenn der Hund tatsächlich nicht gefährlich gewesen wäre, wäre dies jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Helfer vernünftigerweise in der Situation von einem Angriff ausgehen durfte (Beispiel: Wohl kaum gerechtfertigt wäre es, den Hund zu erschlagen, wenn es sich dabei um einen Pekinesen gehandelt hätte, der schwanzwedelnd auf das Kind zuläuft. Bei einem Pitbul, der laut bellend auf ein Kind zustürmt, sieht das anders aus, auch wenn er vielleicht tatsächlich das Kind nur begrüßen wollte, weil er es kennt, was der Helfer aber nicht wissen konnte).
Sicher muss der Helfer - je nach Tatbestand mehr oder weniger - abwägen, wie er hilft und mit welchen Mitteln er hilft. Aber es gibt ausreichend Gesetze und auch gerichtliche Auslegungen, dass ehrliche Hilfe nicht strafbar ist.
Jetzt kann man sich dann schon fragen, warum denn dann gegen den Helfer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann. Warum mutet man das dem "edlen Helfer" zu?
Nun stehen ja ggf tatsächlich erst einmal Straftaten im Raum (Körperverletzung des Angreifenden, Tötung des Hundes etc.). Und oft ist der Sachverhalt zunächst einmal unklar. Deswegen muss ja erst einmal ERMITTELT werden.
Wenn dies nicht geschehen würde, würde ja allein die Behauptung - auch wenn sie falsch ist (!) -, dass ein Rechtfertigungsgrund vorgelegen hat, jegliche Ermittlungen verbieten.
Wenn man sich dies vor Augen führt, dann ist jedenfalls die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verständlich und auch richtig.
Und - da kommen wir dann zum Thema zurück - das ist auch dem Helfer zumutbar. Denn der Helfer hat ja auch ein Interesse daran, dass ungerechtfertigten Taten Strafen nach sich ziehen. Und hierzu muss nun einmal der Sachverhalt ermittelt werden. Und er wird auch wissen, dass er nichts zu befürchten hat.
Ich behaupte mal, dass er vielen Fällen von einem Ermittlungsverfahren gar nichts mitbekommt und in den wenigsten Fällen er sich überhaupt rechtfertigen muss und in den allerwenigsten Fällen vor Gericht landet und erst dann freigesprochen wird.
(Jan, da würde mich in dem von Dir geschilderten Hundefall, interessieren, ob er "nur" angezeigt wurde und das Verfahren dann - nach Ermittlungen eingestellt wurde, oder ob er tatsächlich angeklagt wurde, vor Gericht stand und dann erst freigesprochen wurde. So, wie Du den Fall geschildert hast, halte ich die erste Variante für wahrscheinlich).
Also ich denke, dass die Gefahr eines möglichen Ermittlungsverfahrens, kein Grund sein kann, in zumutbarer Weise zu helfen.
Darüber hinaus glaube ich aber auch Folgendes: In den allermeisten Fällen muss jemand, der Zivilcourage zeigt, innerhalb kürzester Zeit entscheiden. Er wird sich vieles abwägen ( was kann ich tun, wie kann ich helfen, wie bleibe ich gesund etc..).
Die Frage, ob er sich hinterher für das Einschreiten verantworten muss, wird sich aber in dieser kurzen Zeit eher nicht stellen.
Ich denke, diese angebliche Abwägung ist dann doch eher eine Schutzbehauptung für die Rechtfertigung des Wegschauens.
LG Gika
Ein wirklich erwachsener Mensch hat Kindlichkeit nicht abgelegt, sondern sie auf einer höheren Ebene wiedererlangt (David Steindl-Rast)
ich denke, wir sind gar nicht so uneins. Wir vertreten vielleicht schwerpunktmäßig unterschiedliche Perspektiven. Das Wegschauen bei Gefahren ist ja genau das Problem. Denn dies nimmt zu, keiner fühlt sich mehr angesprochen, keiner ist mehr bereit zu helfen. Und meine These ist eben die, dass in so einer Situation die besondere Hervorhebung des Verhaltens einer besonders couragierten Frau, die aber eben auch dabei ihr Leben lassen musste, kontraproduktiv ist. Denn wenn Zivilcourage mit der Gefahr des Verlusts des Lebens verbunden ist, dann will doch keiner mehr helfen. Das ist doch gerade Wasser auf die Mühlen dieser Typen, die sagen, ich würde ja so gerne, aber es ist doch wirklich keinem geholfen, wenn ich auch noch zusammengeschlagen werde. Was irgendwo ja auch stimmt. Deshalb sollte der Schwerpunkt eben auch auf dem couragierten und vernünftigen Handeln liegen. Ich sehe nicht weg, ich sehe hin und ich helfe, so WIE ich eben kann. Das Beispiel des Manns mit der Jacke ist da sehr gut. Wenn er selbst ins Wasser gegangen wäre, wären wahrscheinlich zwei Personen ertrunken. So hat er nach seinen Möglichkeiten geholfen und war dabei. Hat sich gekümmert und war engagiert, und das genau ist doch Zivilcourage. Natürlich ist das Schmeißen der Jacke viel weniger spektakulär als ein Sprung ins Wasser. Dafür bekommt er sicher kein Bundesverdienstkreuz. Aber dafür hat er überlebt.
Ich finde schon, dass man diesen Aspekt des vernünftigen Handelns und des Handelns nach seinen Möglichkeiten betonen und in den Vordergrund stellen sollte. Denn das entlastet die Leute auch. Es werden keine Wundertaten von mir verlangt, es wird nicht verlangt, dass ich ungeübt mich zwischen Schlägertruppen schmeiße. Ich darf am Rand stehen und im Hintergrund bleiben, wenn ich dabei schnell auf meinem Handy den Notruf anrufe. Man darf von den Leuten nicht zu viel verlangen. Das setzt sie unter Druck und weil sie nicht den Mut haben, sich mit Schlägern anzulegen, gleichzeitig aber auch ein schlechtes Gewissen haben, schauen sie weg oder gehen schnell weg. Man muss stattdessen den Leuten Möglichkeiten aufzeigen, wie man dennoch helfen kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen oder diese Gefahr zu minimieren. Es ist eben auch mutig, bei der Schlägerei im Hintergrund zu bleiben und schnell den Notruf zu betätigen. Man muss den Leuten Wege zeigen, wie sie helfen können, ohne selbst sofort ihr Leben zu gefährden. Und m.E. sind solche spektakulären Fälle wie in Offenbach, die auch noch von der Presse aufgepeitscht werden, dazu nicht geeignet.
Noch zum Fall mit dem Hund, dem Kleinkind und dem Hammer: Es kam zur Anklage und der Hammerwerfer musste sich vor Gericht verantworten, sich einen Anwalt nehmen usw. Dabei war die Angelegenheit eindeutig: Es handelte sich um einen Kampfhund und nicht um einen kleinen Pekinesen. Der Hund griff das Kind aggressiv an, das war die eindeutige Meinung aller Zeugen. Der Hammerwerfer hatte das Glück, dass die anwesenden Personen alle dermaßen empört waren über das Geschehen und auch über die Anklage, dass sie alle bereit waren auszusagen. Denn das kann natürlich auch passieren, dass sich die Zeugen nicht mehr finden oder keine Lust haben, vor Gericht auszusagen und sich einfach nicht mehr erinnern. Aber anscheinend war die Geschichte so eindeutig, dass die Verhandlung auch nicht lang dauerte und der Richter das Verfahren einstellte. Es kam aber trotzdem zur Verhandlung. Der Lebensretter muss sich vor Gericht verantworten, das ist schon nicht in Ordnung. Ein Menschenleben sollte hier schon noch vor dem des Kampfhundes stehen. Das ist ja eben auch die Gefahr bei Verhandlungen, wenn die Zeugen sich nicht mehr finden. Plötzlich heißt es ja dann, das Kind habe den Hund gereizt und wäre selber schuld. Das kennt man ja auch bei anderen Vergehen, Vergewaltigungen z.B.
Moin Ihr Lieben,
ich habe schon versucht, Andreas anzurufen, aber nur die Mailbox vollquatschen können. Ich hoffe, er ruft mich zurück. Bitte habt mit mir Geduld, ich habe in meiner velberter Wohnung zur Zeit kein Internet, bin umgezogen und es dauert noch. Deswegen kann ich nur von der Firma aus ins Forum.
LG
Eberhard
Viele Grüße
Eberhard
Hallo Eberhard,
vielen Dank, dass Du Dich darum kümmerst. Das Posten in den Fäden funktioniert inzwischen wieder problemlos. Allerdings können wir keine neuen Fäden eröffnen, wahrscheinlich funktioniert das aber nur in Off Optic nicht, denn heute hat ja im Binokularsehen eine Person einen neuen Faden eröffnet.
LG
Jan
Hallo liebe Forumsmitglieder,
da mich aktuell eine Sache beschäftigt, dachte ich, ich äußere mich hier einmal dazu, vielleicht hat ja jemand Lust, mit mir zu diskutieren.
Ihr habt sicher von dem jungen Mädchen gelesen, das in Offenbach zwei anderen Mädchen, die belästigt wurden, geholfen hat und daraufhin von einem der Männer selbst niedergeschlagen und letztendlich getötet wurde. Ein tragischer und sehr trauriger Fall.
Nun wird allgemein die Zivilcourage des Mädchens gelobt, sie soll ja nun sogar das Bundesverdienstkreuz erhalten für ihre Tat. Das ist sicher nett gemeint, auch wenn es schon ein großes Zeichen von Ohnmacht ist. Hätte man diesen Tod nicht vermeiden können? Wer hat etwas von diesem Verdienstkreuz?
Bei mir führt dieses Gerede von Zivilcourage und auch das Bundesverdienstkreuz zu einem gewissen Unbehagen. Was ist denn eigentlich Zivilcourage? Wenn jemand mutig ist und anderen in Not hilft. Aber muss ich dabei zwangsweise auch mein Leben riskieren? Bin ich ein Feigling, wenn ich dazu nicht bereit bin? Und was ist nun eigentlich so vorbildlich an dem Verhalten der jungen Frau, dass man ihr das Bundesverdienstkreuz geben will? Ist es mal abgesehen von einem Ohnmachtszeichen in einer offensichtlich zunehmend verrohenden und gewaltbereiten Gesellschaft nicht eindeutig ein FALSCHES Zeichen, wenn jemand geehrt wird für ein Verhalten, das ja irgendwo nicht so ganz funktioniert hat, denn sonst wäre sie nicht tot.
Ich definiere und verstehe Zivilcourage tatsächlich anders. Es ist ein beherztes und mutiges Handeln, ein Eingreifen mit dem Ziel, anderen zu helfen. Das funktioniert aber nur, wenn ich die Situation dabei wirklich überblicke und mit Vernunft davon ausgehen kann, das zu überleben. Das Mädel hat eindeutig einiges falsch gemacht. Sie hat die Lage und den Täter falsch eingeschätzt, eventuell auch sich selbst überschätzt. Sie wollte helfen und mutig sein und hat aber doch durch ihr nicht sehr vernünftiges Verhalten dazu beigetragen, dass es einen Toten gibt. Das ist nicht sehr schlau, man kann es auch Dummheit nennen.
Ich weiß, dass diese Äußerung momentan nicht sehr populär sein dürfte, denn die Emotionen werden bedient, vor allem von der Presse. Die gut aussehende junge Frau, zwei schutzbedürftige minderjährige Mädchen, der rohe Schläger. Das klingt nach einem sehr sehr schlechten Film und bedient die Emotionen, die verbinden. Alle sind sich doch einig, dass wir mehr von dieser Art von Zivilcourage nötig haben.
Ist dem wirklich so? Wie in den Zeitungen zu lesen ist, haben einige Typen auf der Damentoilette der McDonalds-Filiale zwei minderjährige Mädchen belästigt. Das Mädchen, das später den Tod fand, half den beiden Mädchen, mit anderen Leuten zusammen. Die Lage hatte sich offensichtlich beruhigt und später kam es dann auf dem Parkplatz zum tödlichen Angriff eines der Belästiger.
Nun kann man so etwas nicht voraussehen. Aber wäre nicht trotzdem Vorsicht geboten gewesen? Junge Männer, die aggressiv sind und dann womöglich noch vor ihren Freunden gedemütigt werden, sind mit Vorsicht zu genießen. Warum ist sie dort an diesem Ort geblieben, nachdem sie geholfen hat? Warum ist sie nicht sofort verschwunden, um sich selbst nicht zu gefährden? Der Typ wollte sich rächen, das Mädchen ist nun tot.
Ich möchte hier nicht missverstanden werden: Der Fall ist sehr tragisch und traurig, einfach nur furchtbar, für viele, das Mädchen, die Familie, Freunde. Gleichzeitig sage ich aber auch, Zivilcourage ist etwas anderes. Da geht es auch um eine vernünftige Einschätzung der Lage, um Schlimmes zu verhindern. Das ist dem Mädchen nicht gelungen.
Natürlich hat auch die Geschäftsleitung des Ladens versagt, denn eigentlich wäre es ja deren Aufgabe, dafür zu sorgen, dass kleine Mädchen auf Toiletten nicht von Männern belästigt werden. Die Belästiger hätte man wohl besser der Polizei übergeben.
Wie seht Ihr diesen Fall?
LG
Jan
Hallo Jan,
nein, ich denke, man kann so etwas nicht vorraussehen. Aber vielleicht wäre es besser gewesen, die Typen hätten die Nacht bei der Polizei verbracht und die junge Frau wäre nach Hause oder woanders hingegangen.
Prinzipiell finde ich Zivilcourage dennoch etwas Gutes: Erst jüngst ist in Freiburg an einer Strassenbahnhaltestelle ein Mann mit einem Messer auf seine Ex-Freundin losgegangen. Ein junger Mann griff ein, konnte den Täter bis zum Eintreffen der Polizei festhalten. Eine andere Person half und nahm dem Täter das Messer weg.
Doch es kostete den jungen Mann wohl so ziemlich all seine Kraft, den Täter bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Wenn der Täter es geschafft hätte, sich loszureissen und dabei vielleicht den jungen Mann verletzt oder gar getötet hätte, müsste man es dem jungen Mann vorwerfen, dass er sein Leben riskiert hatte?
Wäre das vorraussehbar gewesen? Es standen ja wohl noch so einige Leute an der Strassenbahnhaltestelle. Waren das alles Leute, die nicht helfen konnten? Alles Kinder, alte oder behinderte Leute? Oder hat der junge Mann nicht doch damit rechnen können, dass man ihm hilft?
Ja, Zivilcourage braucht es, doch sollte man sich das gut überlegen, was aber gerade in solchen Situationen kaum möglich ist. Da muss man mitunter schnell handeln. Wenigstens nach Entschärfung der Situation sollte man sich jedoch überlegen, wie man sich aus dem Gefahrenbereich herauszieht, vor allem, wenn die Täter am Tatort verbleiben.
donquichote
Hallo,
also ich hatte ja auch von dem Fall gelesen, doch kenne ich keine Details. Warum ist die junge Frau im Lokal verblieben? "Nur", weil sie dort den Abend verbringen wollte? Oder weil sie sich unter Menschen sicherer fühlte? Was wäre gewesen, wenn sie sich gleich vom Tatort entfernt hätte? Hätten ihr die Typen auch aufgelauert? Hatte sie vielleicht die Befürchtung, dass sie, wenn sie gleich das Lokal verlässt, um vielleicht nach Hause zu gehen, von den Typen bis nach Hause verfolgt wird?
Ich sehe das Problem vor allem darin, dass anscheindend zu wenig Zivilcourage gezeigt wird. Es ist wohl immer wieder der Fall, dass in solchen Situationen zu wenig Menschen helfen. Zumindest ist das meine "Erfahrung", also das, was ich hier so durch die Presse erfahre bzw. was auch schon meine eigene Erfahrung war! Man meint, man ist nicht alleine, man hofft auf Unterstützung, aber oft genug schauen die anderen Menschen woanders hin oder sie schauen scheinbar unbeteiligt zu.
Hinzu kommen die heutigen Medien und das Internet: Solche Geschichten verbreiten sich rasend schnell und man kann hier mit einem einzigen Mausklick seine ach so gute Einstellung zeigen. Eine Sekunde, ein Mausklick und man ist wieder mal ein guter Mensch!
Fehlende Zivilcourage in Situationen, wo sie durchaus ohne allzu grosse Gefahr machbar wäre und der Medienhype mit "Like" - das ist das, was mich an solchen Dingen so ärgert. Dass man dann halt noch reagieren muss und im Nachhinein ein Bundesverdienstkreuz vergibt - das ist halt fast schon Zugzwang. Machtlosigkeit. Ohnmacht.
(Und dann gibt es noch ein Hindernis für die Zivilcourage: Das Recht, das auch Täter haben. Also mal eben schnell einen Ladendieb am Ärmel packen kann juristischen Ärger nach sich ziehen. Ich denke, auch das haben viele Leute im Hinterkopf.)
donquichote
Hallo Don,
ich bin ganz Deiner Meinung, es fehlt an Zivilcourage. Und genau deshalb finde ich aber solche Fälle, wo nun die Zivilcourage einer Person in den Himmel gelobt wird und diese Person diese Courage gleichzeitig mit dem Leben bezahlt hat, so ungünstig und auch gefährlich. Denn das signalisiert den Leuten doch, dass es sehr gefährlich ist und man das mit dem Leben bezahlen kann. Genau das ist es aber doch auch, was die Leute nun von mehr Zivilcourage abhält. Das ist an sich ein absolutes Negativbeispiel, und die Presse täte besser daran, den Fall herunterzuspielen. Aber die Presse ist eben die Presse und so nimmt alles seinen ungünstigen Lauf.
Das Ganze passierte offensichtlich in einer McDonalds-Filiale und die Frau wurde später auf dem Parkplatz von einem der Typen niedergeschlagen. Nun hatte er wohl nicht vor, sie zu töten, aber sie fiel aufs Pflaster und hatte schwerste Kopfverletzungen.
Natürlich brauchen wir mehr Zivilcourage, denn die Leute haben immer mehr die Tendenz wegzuschauen, wenn etwas passiert. Und mehrere Leute können etwas ausrichten, mehr als ein Einzelner. Aber wenn mir in der Presse dann suggeriert wird, dass Zivilcourage vom Feinsten einhergeht mit meinem möglichen Tod, dann bin ich natürlich obervorsichtig und halt mich auch lieber raus, denn ich mag mein Leben und will es behalten.
Im konkreten Fall Schuld trägt in jedem Fall die Geschäftsleitung des Ladens, denn man sollte ja meinen, dass kleine Mädchen in McDonalds-Restaurants nicht auf der Toilette belästigt werden. Die Geschäftsleitung hätte hier für Ordnung sorgen müssen und die Polizei rufen oder zumindest Sorge dafür tragen, dass die Täter sich entfernen. Ob die Frau selbst unvorsichtig war, kann man nicht so direkt sagen, vielleicht war es einfach großes Pech, aber sie scheint nicht umsichtig gewesen zu sein. Auch sie hätte sich schnell und unter Vorsicht entfernen müssen, was sie offensichtlich nicht getan hat.
Zivilcourage ja und unbedingt, aber nur da, wo es Sinn macht und vernünftig ist. Wenn ich als untrainierter Nichtschläger zwischen 20 bullige Skinheads trete, um wen auch immer vor ihnen zu retten und dann selbst zusammengeschlagen werde, dann kann man das nicht mehr Zivilcourage nennen und die Häme wird auf meiner Seite sein. Alle werden sagen, dass ich ein Volltrottel bin und selber schuld an meinen Verletzungen habe. Das als Extremfall. Aber man kann anders helfen, indem man andere kräftigere Männer anspricht oder einfach die Polizei oder sonstige Hilfe holt. Das ist dann halt wenig spektakulär, niemand wird einen loben und mit dem Bundesverdienstkreuz beehren, aber helfen kann es trotzdem und man hat eine gute Chance, selbst unbeschadet rauszukommen. Ich denke doch, Zivilcourage ist hinsehen und nach den eigenen Möglichkeiten zu helfen. Und diese sollte man realistisch einschätzen.
Dein letztgenannter Aspekt sollte auch nicht unbeachtet bleiben. In unserem weiteren Bekanntenkreis kursiert ein Fall von einem Handwerker, der mit einem gezielten Hammerwurf auf den Kopf eines Kampfhundes diesen in letzter Sekunde daran hindern konnte, sich auf ein Kleinkind zu stürzen und dieses anzugreifen. Der Hund war tot und der Besitzer klagte unseren Bekannten an. Er musste sich wegen des Hammerwurfs, mit dem er dem kleinen Kind wohl das Leben gerettet oder doch zumindest schwerste Verletzungen erspart hat, vor Gericht rechtfertigen. Glücklicherweise hatte er einen verständigen Richter und die Anklage wurde eingestellt. Aber das kann natürlich auch passieren: ein Akt der Zivilcourage und kein Bundesverdienstkreuz, aber dafür eine Anklage vor Gericht.
LG
Jan
Hallo Ihr Beiden,
Jan, ich bin teilweise mit Dir einer Meinung, teilweise aber auch nicht.
Zivilcourage definiere ich genauso, wie Du auch. Es ist ein beherztes Eingreifen, um jemanden zu helfen. Dabei ist es aber sicher keine fehlende Zivilcourage, wenn jemand nicht bereit ist, sein Leben leichtfertig zu riskieren.
Jeder der versucht, einer in Not geratenen Person nach ihm zur Verfügung stehenden und zumutbaren Möglichkeiten zu helfen, beweist Zivilcourage. Dabei kann die Hilfe ja auch darin bestehen, weitere Hilfe zu holen (zB die Polizei, andere Personen..), laut zu schreien oder was auch immer.
Man kann sicher niemandem fehlende Zivilcourage vorwerfen, der sieht, dass 2 ihm körperlich deutlich überlegene Personen, die auch noch ein Messer gezückt haben, auf eine andere Person einschlagen, und er/sie nicht dazwischen geht. Die Gefahr, dass er/sie dann mindestens schwer verletzt wird, wenn nicht sogar getötet, ist offensichtlich.
Als fehlende Zivilcourage würde ich es aber bezeichnen, wenn diese Person nach dem Motto "das geht mich nichts an" einfach wegschaut und weitergeht (was ja leider oft genug geschieht). Denn die Polizei zu rufen, wäre in diesem Beispielsfall sicher zumutbar.
So wie ich Dich verstanden habe, liegen wir da gar nicht weit auseinander.
Dein Urteil, dass das verstorbene Mädchen in Offenbach aber mehr getan hat, als vernünftig war, kann ich nicht so ganz teilen (nach den mir zur Verfügung stehenden Informationen).
Sicher, wenn man jetzt weiß, dass sie wohl anlässlich ihres Eingriffs zu Tode gekommen ist, liegt dieser Rückschluss nahe.
ABER: Hinterher ist man immer klüger!
Hat sie wirklich leichtfertig gehandelt, als sie bei der Belästigung eingegriffen hat? Ich weiß es nicht! Ich maße mir da auch kein Urteil an, dazu weiß ich zu wenig vom Sachverhalt. Es ist da ja auch noch vieles nicht geklärt. Aber einiges könnte aus meiner Sicht schon gegen ein leichtfertiges Handeln sprechen:
Sie hat - wie auch immer - eingegriffen, als 2 Mädchen belästigt wurden. Dieser Eingriff hat ja wohl auch funktioniert. Die Situation war bereinigt.
Und dann - einige Zeit später - verlässt sie das Lokal und der (ein) Täter rächt sich... Hätte sie das vorhersehen müssen? War das wahrscheinlich/ absehbar?
Ich weiß es nicht! Natürlich ist das möglich, dass sie damit rechnen musste. Aber, ob das so war?
Sicher besteht immer die theoretische Möglichkeit, dass ein Gewalttäter, der "gestört" wird, sich dann irgendwann an dem "Störer" rächt. Aber ist das der Normalfall? Eher nicht!
Wenn die Angst vor der theoretischen Rache wegen eines - wie auch immer - durchgeführten Eingriffs die Rechtfertigung ist, gar nichts zu tun, dann wird das Wegsehen IMMER gerechtfertigt.
Daher kann ich mich mit dem Rückschluss, dass der Eingriff des Mädchens letztlich zum Tode geführt hat, bedeutet, dass sie ihr Leben leichtfertig riskiert hätte, nicht anfreunden.
Da frage ich mich eher, so wie Don ja wohl auch, ob nicht in der Zeit zwischen der Hilfeleistung und dem Verlassen des Lokals etwas hätte geschehen müssen; seitens des getöteten Mädchens, oder vielleicht auch seitens der Mitarbeiter oder anderer Gäste. Hätte nicht dann jedenfalls die Polizei gerufen werden müssen?
Aber auch das kann ich nicht beurteilen. Wie massiv waren die Belästigungen. Was ist danach geschehen. Hat sich alles wieder beruhigt und war ganz normal oder gab es Anzeichen für weitere Aggressionen?
Also insgesamt tue ich mich daher mit dem Rückschluss schwer, dass das Mädel leichtfertig gehandelt hat.
Das führt aber auch zur nächsten Frage. Wie beurteile ich jemand, der tatsächlich leichtfertig sein Leben für andere riskiert? Ist eine solche Person ein "ganz besonderer Held"?
Schwierig!
Wir sind uns einig, dass es kein Zeichen fehlender Zivilcourage ist, wenn jemand dies nicht tut (s.o.).
Aber ist es wirklich immer Leichtsinn, wenn jemand trotzdem eingreift? Kann man tatsächlich die Situation immer so abschätzen? Man muss sich ja auch vor Augen führen, dass die Entscheidung oft innerhalb weniger Sekunden getroffen wird, in denen man nicht so reflektiert nachdenkt (nachdenken kann).
Ist es nicht doch besonders anerkennenswert, wenn eine Person einer anderen Person zur Hilfe eilt und dabei eigene Belange zurückstellt?
Nehmen wir mal ein anderes Beispiel:
Ein kleines Kind fällt in einen Fluss und droht zu ertrinken. Ein sehr schlechter Schwimmer oder auch Nichtschwimmer springt in den Fluss, schafft es irgendwie das Kind zu retten, ertrinkt dann aber selber oder zieht sich von mir aus "nur" schwere Verletzungen zu, weil er schlecht schwimmen kann.
Bei einem solchen Beispiel würden wahrscheinlich die allerwenigsten zögern, hier eine besonders selbstlose und heldenhafte Tat zu attestieren und diesen Menschen zu ehren.
Man würde diese Tat wahrscheinlich auch in einem anderen Licht sehen, als wenn ein ausgebildeter Rettungsschwimmer, der zufällig da ist, hinterherspringt und das Kind rettet, ohne sich selbst zu verletzen. Auch diesem wäre man natürlich äußerst dankbar. Aber, ob man dieser Tat den gleichen Stellenwert beimessen würde, wie der des Nichtschwimmers, ist fraglich.
Natürlich ist die Tat des Nichtschwimmers besonders selbstlos. Und jeder würde es wahrscheinlich auch als ungerecht empfinden, wenn da jemand sagen würde "selbst schuld".
Auf der anderen Seite führt eine solche Sichtweise natürlich auch dazu, dass die Tat des ausgebildeten Rettungsschwimmer als "normal" angesehen wird.
Das führt dann natürlich schnell auch zu einer "Verschiebung" des Begriffs Zivilcourage in der Weise, dass Zivilcourage immer der bewusste Einsatz des eigenen Lebens bedeuten muss.
Und das führt dann natürlich schnell dazu, dass sich der eine oder andere dann lieber gar nicht kümmert und wegsieht.
LG Gika
Ein wirklich erwachsener Mensch hat Kindlichkeit nicht abgelegt, sondern sie auf einer höheren Ebene wiedererlangt (David Steindl-Rast)
Hallo,
gerade was die Rettung einer ertrinkenden Person angeht, hatten wir jüngst hier in der Region einen Fall: Eine Frau ist in einen Gewerbekanal gefallen, sie konnte sich irgendwo noch halten, drohte aber abzudriften. Ein junger Mann hat geholfen: Er suchte nach einem Ast, an dem sie sich hätte halten können, sprach derweil mit der Frau, damit sie merkt, dass er bei ihr ist, ihr helfen will. Da er nichts fand, zog er seine Jacke aus und warf sie ihr zu. Reinspringen war für ihn keine Möglichkeit, die Strömung recht stark, er seinen Angaben nach kein guter Schwimmer und er wusste auch nicht, wie tief das Wasser ist.
Das ist vielleicht so ein Beispiel für die Überlegung, wie man einer Person helfen kann, ohne sich selber in Gefahr zu bringen. Nur hat man nicht immer die Zeit oder man schätzt die Lage falsch ein.
Vielleicht hat die junge Frau die Lage falsch eingeschätzt, wir wissen es nicht. Vielleicht hätte jemand in diesem Lokal weiterdenken und die Polizei rufen sollen. Vielleicht hätte die Polizei die Täter für eine Nacht in Gewahrsam genommen (bis entsprechende Berichte geschrieben sind). Vielleicht hätte man der jungen Frau eine Möglichkeit anbieten sollen, dass sie unerkannt nach Hause kommt, also unerkannt dahingehend, dass die Täter ihr nicht folgen können.
Vielleicht, vielleicht ...
Ich denke, wahrscheinlich sind wir uns alle einig, dass es einerseits mehr Zivilcourage braucht, dass sie andererseits überlegt erfolgen muss.
Aber ich denke, schon alleine, wenn Zivilcourage etwas ganz normales wäre, dann gäbe es die Situation, dass Einzelne sich in Gefahr bringen, nicht mehr ganz so oft.
Der junge Mann, der kürzlich hier an einer Strassenbahnhaltestelle einen Täter festgehalten hat, der mit einem Messer auf seine Ex-Freundin losging, lief ja Gefahr, dass seine Kräfte nicht bis zum Eintreffen der Polizei reichen. Hätten andere mitgeholfen, wäre die Gefahr für ihn schon geringer geworden.
Leider wird zu oft nicht gehandelt. Selbst in Situationen, die harmlos wären, wenn mehrere Beteiligte eingreifen würden. Einer ruft die Polizei, die anderen helfen. Stattdessen wird weggesehen und eine einzelne Person bringt sich in Gefahr.
Sorry, aber das Thema regt mich auf. (Aber dennoch gut, es hier mal auszudiskutieren.)
donquichote
Hallo,
und was die Sache mit den Rechten eines Täters angeht: Natürlich sollte auch ein Täter Rechte haben. Schliesslich soll das Recht nicht auf der Strasse durch X-Beliebige gemacht / durchgesetzt werden, sondern nach gründlicher Prüfung vor Gericht. Trotzdem sollte hier die Rechtsprechung besonders sensibel und gründlich vorgehen. Es sollte hier mehr als sonst auf Verhältnismässigkeit geachtet werden. Also einen Obdachlosen, der sich ein Stück Brot klaut, krankenhausreif zu schlagen ist eine ganz andere Sache, als mit einem gezielten Hammerschlag einen gefährlichen Hund von einem Kind abzuhalten. Wobei das schon wieder schwierig ist. Denn vielleicht war der Hund ja gar nicht gefährlich, sondern wollte nur spielen? (Jan, ich bezweifle jetzt nicht Deine Geschichte, sondern nehme das jetzt mal als Beispiel für die späteren, vor Gericht auftretenden Argumente.)
Vielleicht sollte man öfters die "kleinen", aber feinen Geschichten von Zivilcourage in Umlauf bringen. Eben z.B. den jungen Mann, der sehr überlegt handelte, als er der in einem Kanal zu ertrinken drohenden Frau seine Jacke zuwarf. Damit andere gerade an solchen Geschichten lernen: Ich muss mich nicht unbedingt selber in Gefahr bringen - es gibt eine andere Möglichkeit. Damit mehr Leute auf den Geschmack kommen und gerne, aber auch überlegt helfen.
Hatte da mal so ein Erlebnis des Nichthelfens ... vielleicht schreibe ich es hier mal rein.
donquichote
Hallo Ihr Lieben,
also können wir als gemeinsamen Nenner folgendes festhalten? Zivilcourage ist ein ZUMUTBARES Eingreifen in einer Notlage eines anderen im Rahmen der individuellen Möglichkeiten und tatsächlichen Gegebenheiten (mit den Großbuchstaben möchte ich i.Ü. nicht schreien, sondern nur betonen...).
Und von solchen Eingriffen gibt es zu wenig, da wird lieber weggeschaut und alle möglichen Ausreden für das Wegschauen gesucht.
In diesem Zusammenhang möchte ich dann noch auf ein Thema eingehen, was Ihr Beide nun angesprochen habt.
Ist es möglicherweise nicht zumutbar, einzugreifen, weil zu befürchten ist, dass man selbst auf der Anklagebank landet? Sind unsere Gesetze da falsch, Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte zu streng?
Alle Beispiele, die Ihr aufgeführt habt, würden nie zu einer Verurteilung führen, in der Regel nicht einmal zu einer Anklage. Es gibt hier doch einige "Tatbestände" die das Eingreifen rechtfertigen.
Den auf frischer Tat Betroffenen Ladendieb dürfte jedermann festnehmen, bis die Polizei kommt, den angreifenden Hund darf man erschlagen. Selbst wenn der Hund tatsächlich nicht gefährlich gewesen wäre, wäre dies jedenfalls dann gerechtfertigt, wenn der Helfer vernünftigerweise in der Situation von einem Angriff ausgehen durfte (Beispiel: Wohl kaum gerechtfertigt wäre es, den Hund zu erschlagen, wenn es sich dabei um einen Pekinesen gehandelt hätte, der schwanzwedelnd auf das Kind zuläuft. Bei einem Pitbul, der laut bellend auf ein Kind zustürmt, sieht das anders aus, auch wenn er vielleicht tatsächlich das Kind nur begrüßen wollte, weil er es kennt, was der Helfer aber nicht wissen konnte).
Sicher muss der Helfer - je nach Tatbestand mehr oder weniger - abwägen, wie er hilft und mit welchen Mitteln er hilft. Aber es gibt ausreichend Gesetze und auch gerichtliche Auslegungen, dass ehrliche Hilfe nicht strafbar ist.
Jetzt kann man sich dann schon fragen, warum denn dann gegen den Helfer ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden kann. Warum mutet man das dem "edlen Helfer" zu?
Nun stehen ja ggf tatsächlich erst einmal Straftaten im Raum (Körperverletzung des Angreifenden, Tötung des Hundes etc.). Und oft ist der Sachverhalt zunächst einmal unklar. Deswegen muss ja erst einmal ERMITTELT werden.
Wenn dies nicht geschehen würde, würde ja allein die Behauptung - auch wenn sie falsch ist (!) -, dass ein Rechtfertigungsgrund vorgelegen hat, jegliche Ermittlungen verbieten.
Wenn man sich dies vor Augen führt, dann ist jedenfalls die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens verständlich und auch richtig.
Und - da kommen wir dann zum Thema zurück - das ist auch dem Helfer zumutbar. Denn der Helfer hat ja auch ein Interesse daran, dass ungerechtfertigten Taten Strafen nach sich ziehen. Und hierzu muss nun einmal der Sachverhalt ermittelt werden. Und er wird auch wissen, dass er nichts zu befürchten hat.
Ich behaupte mal, dass er vielen Fällen von einem Ermittlungsverfahren gar nichts mitbekommt und in den wenigsten Fällen er sich überhaupt rechtfertigen muss und in den allerwenigsten Fällen vor Gericht landet und erst dann freigesprochen wird.
(Jan, da würde mich in dem von Dir geschilderten Hundefall, interessieren, ob er "nur" angezeigt wurde und das Verfahren dann - nach Ermittlungen eingestellt wurde, oder ob er tatsächlich angeklagt wurde, vor Gericht stand und dann erst freigesprochen wurde. So, wie Du den Fall geschildert hast, halte ich die erste Variante für wahrscheinlich).
Also ich denke, dass die Gefahr eines möglichen Ermittlungsverfahrens, kein Grund sein kann, in zumutbarer Weise zu helfen.
Darüber hinaus glaube ich aber auch Folgendes: In den allermeisten Fällen muss jemand, der Zivilcourage zeigt, innerhalb kürzester Zeit entscheiden. Er wird sich vieles abwägen ( was kann ich tun, wie kann ich helfen, wie bleibe ich gesund etc..).
Die Frage, ob er sich hinterher für das Einschreiten verantworten muss, wird sich aber in dieser kurzen Zeit eher nicht stellen.
Ich denke, diese angebliche Abwägung ist dann doch eher eine Schutzbehauptung für die Rechtfertigung des Wegschauens.
LG Gika
Ein wirklich erwachsener Mensch hat Kindlichkeit nicht abgelegt, sondern sie auf einer höheren Ebene wiedererlangt (David Steindl-Rast)
Hallo Gika, Don,
ich denke, wir sind gar nicht so uneins. Wir vertreten vielleicht schwerpunktmäßig unterschiedliche Perspektiven. Das Wegschauen bei Gefahren ist ja genau das Problem. Denn dies nimmt zu, keiner fühlt sich mehr angesprochen, keiner ist mehr bereit zu helfen. Und meine These ist eben die, dass in so einer Situation die besondere Hervorhebung des Verhaltens einer besonders couragierten Frau, die aber eben auch dabei ihr Leben lassen musste, kontraproduktiv ist. Denn wenn Zivilcourage mit der Gefahr des Verlusts des Lebens verbunden ist, dann will doch keiner mehr helfen. Das ist doch gerade Wasser auf die Mühlen dieser Typen, die sagen, ich würde ja so gerne, aber es ist doch wirklich keinem geholfen, wenn ich auch noch zusammengeschlagen werde. Was irgendwo ja auch stimmt. Deshalb sollte der Schwerpunkt eben auch auf dem couragierten und vernünftigen Handeln liegen. Ich sehe nicht weg, ich sehe hin und ich helfe, so WIE ich eben kann. Das Beispiel des Manns mit der Jacke ist da sehr gut. Wenn er selbst ins Wasser gegangen wäre, wären wahrscheinlich zwei Personen ertrunken. So hat er nach seinen Möglichkeiten geholfen und war dabei. Hat sich gekümmert und war engagiert, und das genau ist doch Zivilcourage. Natürlich ist das Schmeißen der Jacke viel weniger spektakulär als ein Sprung ins Wasser. Dafür bekommt er sicher kein Bundesverdienstkreuz. Aber dafür hat er überlebt.
Ich finde schon, dass man diesen Aspekt des vernünftigen Handelns und des Handelns nach seinen Möglichkeiten betonen und in den Vordergrund stellen sollte. Denn das entlastet die Leute auch. Es werden keine Wundertaten von mir verlangt, es wird nicht verlangt, dass ich ungeübt mich zwischen Schlägertruppen schmeiße. Ich darf am Rand stehen und im Hintergrund bleiben, wenn ich dabei schnell auf meinem Handy den Notruf anrufe. Man darf von den Leuten nicht zu viel verlangen. Das setzt sie unter Druck und weil sie nicht den Mut haben, sich mit Schlägern anzulegen, gleichzeitig aber auch ein schlechtes Gewissen haben, schauen sie weg oder gehen schnell weg. Man muss stattdessen den Leuten Möglichkeiten aufzeigen, wie man dennoch helfen kann, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen oder diese Gefahr zu minimieren. Es ist eben auch mutig, bei der Schlägerei im Hintergrund zu bleiben und schnell den Notruf zu betätigen. Man muss den Leuten Wege zeigen, wie sie helfen können, ohne selbst sofort ihr Leben zu gefährden. Und m.E. sind solche spektakulären Fälle wie in Offenbach, die auch noch von der Presse aufgepeitscht werden, dazu nicht geeignet.
Noch zum Fall mit dem Hund, dem Kleinkind und dem Hammer: Es kam zur Anklage und der Hammerwerfer musste sich vor Gericht verantworten, sich einen Anwalt nehmen usw. Dabei war die Angelegenheit eindeutig: Es handelte sich um einen Kampfhund und nicht um einen kleinen Pekinesen. Der Hund griff das Kind aggressiv an, das war die eindeutige Meinung aller Zeugen. Der Hammerwerfer hatte das Glück, dass die anwesenden Personen alle dermaßen empört waren über das Geschehen und auch über die Anklage, dass sie alle bereit waren auszusagen. Denn das kann natürlich auch passieren, dass sich die Zeugen nicht mehr finden oder keine Lust haben, vor Gericht auszusagen und sich einfach nicht mehr erinnern. Aber anscheinend war die Geschichte so eindeutig, dass die Verhandlung auch nicht lang dauerte und der Richter das Verfahren einstellte. Es kam aber trotzdem zur Verhandlung. Der Lebensretter muss sich vor Gericht verantworten, das ist schon nicht in Ordnung. Ein Menschenleben sollte hier schon noch vor dem des Kampfhundes stehen. Das ist ja eben auch die Gefahr bei Verhandlungen, wenn die Zeugen sich nicht mehr finden. Plötzlich heißt es ja dann, das Kind habe den Hund gereizt und wäre selber schuld. Das kennt man ja auch bei anderen Vergehen, Vergewaltigungen z.B.
LG
Jan
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